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Bahnhof Südkreuz: 60.000 Euro für sechs Monate Gesichtserkennung

Im Inneren des Bahnhofs Südkreuz wird bald ein Überwachungsexperiment beginnen. CC-BY-SA 2.0 Magnus Manske

Noch fünf Tage, dann startet der Modellversuch zu sogenannter intelligenter Videoüberwachung am Bahnhof Berlin-Südkreuz. In der ersten Phase will die Bundespolizei biometrische Gesichtserkennung testen, ab nächstem Jahr wird ein Verhaltensscanner dazukommen, der gefährliche und auffällige Situationen erkennen soll.

Der Zeitplan war denkbar knapp. Anfang Juli stand noch immer nicht fest, wer die notwendige Technik und Software für das Projekt bereitstellen soll. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte uns nun, die Vergabe sei beendet und es liefen derzeit „die Verfahren zur Vorbereitung des Tests“. Weitere Informationen – wir fragten nach den ausgewählten Herstellern – würden erst am 1. August veröffentlicht.

Keine Auskunft über ausgewählte Hersteller

Auch der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko von den Linken, der das Projekt intensiv verfolgt, bekam keine Informationen. Er findet die kaum mögliche parlamentarische Kontrolle bedenklich, sagt er gegenüber netzpolitik.org. Seit einem Jahr frage er nach Details:

Bis heute hat uns das Innenministerium nicht einmal die Hersteller der Technik genannt. Als Nutznießer früherer Forschungen wurden die Unternehmen Cognitech aus Dresden und L-1 Identity Solutions, das mittlerweile zum französischen Safran-Konzern gehört, bekannt. Ich gehe davon aus, dass die beiden auch bei der Vergabe für das Pilotprojekt am Südkreuz berücksichtigt werden.

Cognitech war an einem ähnlichen Vorhaben des Bundeskriminalamts zur Gesichtserkennung beteiligt, L-1 Identity Solutions leitete ein Projekt des Bundesinnenministeriums zur „videobasierten Personenwiedererkennung“ an Flughäfen.

Bundespolizei beschafft drei Miet-Systeme

Für die Tests mit biometrischer Gesichtserkennung beschaffte die Bundespolizei Systeme gleich drei verschiedener Hersteller. Gekauft hat sie die Systeme jedoch nicht, sie werden vorerst lediglich gemietet. Der Test soll sechs bis neun Monate dauern. Aus einer uns vorliegenden, aber noch nicht veröffentlichten Antwort zu einer Kleinen Anfrage geht hervor, dass die Gesichtserkennungssysteme für sechs Monate mit einer Miete von 61.900 Euro zu Buche schlagen. Da die Hersteller für die Verhaltenserkennung noch nicht feststehen, sind die Kosten hierfür noch unbekannt.

Während des Tests sollen die Videoaufnahmen nur mit den Gesichtsbildern von freiwilligen Probanden abgeglichen werden, ein Zugriff auf andere Daten sei ausgeschlossen. Noch gibt es keine Rechtsgrundlage für den Regulärbetrieb eines solchen Systems. Den Test rechtfertigt die Bundespolizei damit, dass die Testpersonen der Verwendung ihrer Daten explizit einwilligen würden. Um diese Freiwilligen zu gewinnen, warb die Bundespolizei mit Einkaufsgutscheinen und Preisen wie einer Apple Watch für die Meistüberwachten.

Zweifel an Vereinbarkeit mit EU-Recht

Mit Gesichtserkennung kombinierte Videoüberwachung macht es unmöglich, sich unerkannt in der Öffentlichkeit zu bewegen. Das kritisiert unter anderem die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk. Sie bezweifelt die Vereinbarkeit einer pauschalen biometrischen Gesichtserkennung mit europäischem Datenschutzrecht:

Ausnahmen sind nur in engen Grenzen zulässig, zum Beispiel wenn der Betroffene ausdrücklich eingewilligt hat oder wenn die Identifizierung aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist. Auf letzteres können sich in erster Linie Sicherheitsbehörden zum Beispiel bei der Verfolgung schwerer Straftaten stützen.

Die Befürworter der Verhaltens- und Gesichtserkennung argumentieren genau andersherum. Sie sehen in „intelligenter“ Videoüberwachung einen Vorteil für den Datenschutz. In einem Gesetzesentwurf des „Bürgerbündnisses für mehr Videoaufklärung und mehr Datenschutz“ steht etwa, die Auswertung könne wie ein Filter wirken, der die relevanten Daten aussortiert. Daten von Unbeteiligten würden „technisch erhoben und gespeichert, aber sie werden ausgeblendet, so dass keine natürliche Person sie zu sehen bekommt“. Daher wisse hinterher niemand, „dass diese unbeteiligten Passanten sich an dem betreffenden Ort aufgehalten haben“.

Im Sinne des Datenschutzrechts ist es jedoch egal, ob ein Mensch oder eine Maschine die Daten zu sehen bekommt. Dass es sich um die Verarbeitung sensibler biometrischer Daten handelt, ist ein rechtlicher Unterschied. Denn die sind besonders schutzbedürftig.


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