Auf diesem Blog sind die Links gesammelt, die ich für lesenswert erachte.
Mein eigentlicher Blog ist auf http://www.johanneskroening.de/ zu finden.

Es geht auch anders: Berliner Koalition setzt auf Netzpolitik und Grundrechte

Foto: CC-BY 2.0 tinto

Mit der neuen rot-rot-grünen Koalition in Berlin kommt Bewegung in die Debatte rund um Netzpolitik und Grundrechte. Foto: CC-BY 2.0 tinto

Wir hatten vor der Wahl in Berlin die Wahlprogramme der Parteien auf die Themen Netzpolitik, Überwachung und Grundrechte hin analysiert und dies in einem Schaubild visualisiert.

Jetzt schauen wir, welche Forderungen aus den Wahlprogrammen der Parteien es in den Koalitionsvertrag geschafft haben und welche Partei sich wo durchsetzen konnte. Zudem schauen wir, wie stark die Formulierungen sind – handelt es sich um konkrete Pläne oder um Absichtserklärungen? Und natürlich: Welche Perspektiven bietet der Koalitionsvertrag für Netzpolitik und Grundrechte?

Offene Netze

Alle drei Koalitionspartner hatten eine Zusammenarbeit mit Freifunk versprochen. Dies ist auch im Koalitionsvertrag enthalten. Dort heißt es: „Dazu gehört auch der Ausbau des frei zugänglichen WLAN-Netzes in Berlin durch die Schaffung weiterer Infrastruktur unter Einbezug von Initiativen von Freifunkern und Landesbeteiligungen.“

Die Linke konnte sich mit ihrer Forderung nach Abschaffung der Störerhaftung durchsetzen. Bei der SPD hieß es im Wahlprogramm, dass diese schon abgeschafft sei, bei den Grünen fehlte die Forderung. Im Koalitionsvertrag heißt es nun: „Dabei wird die Koalition mit zivilgesellschaftlichen Initiativen zusammenarbeiten und sich für die vollständige Beseitigung der Störerhaftung auf Bundes- und Europaebene einsetzen.“

Breitbandausbau und Glasfaser

Alle drei Parteien hatten sich für mehr Breitbandausbau ausgesprochen, Linke und Grüne zudem für Glasfaser. Breitband- und auch Glasfaserausbau haben es in den Koalitionsvertrag geschafft. Hier konnten sich Linke und Grüne durchsetzen. Beim Ausbau will die Koalition prüfen, inwieweit auch landeseigene Unternehmen herangezogen werden können. Sollte letzteres positiv beschieden werden, könnte landeseigene Infrastruktur aufgebaut werden, anstatt nur großen Telekommunikationsunternehmen Aufträge und Einnahmen zu sichern.

Datenschutz

Die Grünen konnten sich mit der Forderung nach der Stärkung der Datenschutzbeauftragten durchsetzen: Laut Koalitionsvertrag wird die Datenschutzbeauftragte besser ausgestattet.

Grundrechte & Überwachung

Es wird in Berlin keinen Ausbau der Videoüberwachung geben. Das Wort taucht im Koalitionsvertrag nicht auf. Hier konnten Grüne und Linke ihre Positionen durchsetzen. Grundsätzlich heißt es im Koalitionsvertrag: „Die Koalition will den neuen Herausforderungen nicht mit der Einschränkung der Grundrechte der Bürger*innen begegnen [..]“. Insgesamt will die Koalition Sicherheit nicht durch Grundrechtseinschränkungen, sondern durch mehr Personal bei der Polizei herstellen. „Der Schutz der Grundrechte steht für die Koalition an oberster Stelle“, heißt es dazu im Vertrag.

Zur Videoüberwachung auf Demonstrationen heißt es: „Die Koalition stellt Versammlungsteilnehmer*innen nicht unter Generalverdacht. Daher setzt sie sich für eine restriktive Handhabung beim Filmen von Versammlungen ein.“

In keinem der Wahlprogramme der Koalitionäre enthalten, taucht im Vertrag nun plötzlich die probeweise Einführung von Bodycams für Polizisten auf. Diese soll nach zwei Jahren unabhängig evaluiert werden.

Laut Vertrag kommt die neue Stelle eines Bürgerbeauftragten hinzu, der sowohl Bürgern als auch Polizeibeamten als Anlaufstelle dienen soll. Dieser soll umfassende gesetzliche Einsichtsrechte bekommen. Dies ist eine positive Entwicklung, da sie zu mehr Transparenz führen kann, zum Beispiel bei polizeilichen Übergriffen .

Bei der Funkzellenabfrage plädierten Linke und Grüne für deren Abschaffung. Das konnten sie gegenüber der SPD nicht durchsetzen. Dafür soll die Transparenz- und Berichtspflicht bei dieser Maßnahme gegenüber dem Parlament gestärkt werden. Außerdem heißt es: „Die Koalition will ein SMS-Informationsmodul zur Benachrichtigung von Betroffenen von Funkzellenabfragen realisieren.“ Leider ist dies – wie am Wort „will“ zu erkennen ist – nur eine Absichtserklärung.

Alle drei Parteien bestanden in ihren Wahlprogrammen darauf, die Vorratsdatenspeicherung abzuschaffen. Diese Forderung hat es als „Die Koalition lehnt die Vorratsdatenspeicherung ab“ in den Koalitionsvertrag geschafft. Konkrete Initiativen gegen die Vorratsdatenspeicherung sind damit allerdings nicht verbunden.

Die Linke hatte sich im Wahlkampf als einzige Koalitionspartei für die Abschaffung von Staatstrojanern ausgesprochen. Sie konnte sich mit der Forderung nur partiell durchsetzen. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Deshalb lehnt die Koalition [..] anlasslose Quellen-TKÜ [..] ab.“ Unklar bleibt jedoch, was „anlasslose Quellen-TKÜ“ bedeuten soll.  Der Satz ergibt in dieser Form keinen Sinn. Dennoch steht dort: „Die Quellen-TKÜ wird in Berlin nicht angewandt, solange es keine klare Rechtsgrundlage gibt und die Vorgaben des BVerfG nicht gewährleistet sind.“ Hier ist zumindest ein Aufschub eingebaut. Ein weiterer Satz im Koalitionsvertrag spricht sehr deutlich gegen den Einsatz von Staatstrojanern: „Die  Koalition schützt die Integrität datenverarbeitender Systeme.“

Die Linke wollte laut Wahlprogramm den Verfassungsschutz abschaffen, die Grünen wollten ihn abschaffen und seine Aufgaben an die Polizei übertragen. Die SPD forderte eine Reform. An dieser Stelle konnte sich die SPD gegen ihre Partner durchsetzen. Aber: Der Berliner Verfassungsschutz soll reformiert, die Kontrolle des Parlaments gestärkt, die Speicherung von personenbezogenen Daten beschränkt und der Einsatz von V-Leuten an strengere Kriterien geknüpft werden.

Grüne und Linke haben, im Unterschied zur SPD, einen besseren Whistleblowerschutz gefordert. Hier wiederum können die beiden kleinen Koalitionspartner einen Erfolg verbuchen. Im Vertrag steht: „Um Whistleblower besser zu schützen, wird die Koalition sich dafür einsetzen, dass Arbeitnehmer*innen des öffentlichen Dienstes nicht von arbeitsrechtlichen Sanktionierungsmaßnahmen betroffen sind, wenn sie Missstände aufdecken.“

Berlin darf sich mit der neuen Koalition über eine grundrechtsfreundliche Politik und Fortschritte in Sachen Netzpolitik freuen. (Symbolbild) Foto: CC-BY-NC-ND 2.0 habeebee

Berlin darf sich über eine weitgehend grundrechtsfreundliche Politik und Fortschritte in Sachen Netzpolitik freuen. (Symbolbild) Foto: CC-BY-NC-ND 2.0 habeebee

Bürgerbeteiligung

Alle drei Parteien hatten sich eine Ausweitung der Online-Partizipation auf die Fahnen geschrieben. Diese ist jetzt zumindest für Bauvorhaben im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Die weitergehende Forderung von Linken und Grünen nach einer Online-Partizipation bei Gesetzen ist im Koalitionsvertrag leider nicht vorhanden.

eGovernment

Alle drei Parteien hatten sich vor der Wahl zum Einsatz von Open Source bekannt. Dieses Bekenntnis findet sich jetzt auch im Koalitionsvertrag wieder: „Die Koalition fördert die Verwendung von freier und offener Software (Open Source) sowie von freien Lizenzen in der Berliner Verwaltung und auf deren Angeboten.“ Die Formulierung klingt leider nicht nach einer zügigen Umstellung auf Open Source.

Alle drei Parteien hatten sich vor der Wahl dafür ausgesprochen, dass Verwaltungsvorgänge online verfügbar sein sollen. Dies ist nun auch im Koalitionsvertrag enthalten.

Open Data & Transparenz

Während die SPD die „Open-Data-Strategie fortsetzen“ wollte, hatten Grüne und Linke die Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes zu einem Transparenzgesetz nach Hamburger Vorbild im Programm. Die SPD kann hier ihre Blockade weiter durchsetzen, denn im Vertrag heißt es nur: „Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz wird weiterentwickelt in Richtung eines Transparenzgesetzes mit der Maßgabe, dass nicht schützenswerte Daten in der Regel auf dem Berliner Datenportal zur Verfügung gestellt werden.“ Die weiteren Formulierungen des Koalitionsvertrages lassen jedoch hoffen, dass sich Open Data & Transparenz positiv weiterentwickelt.

Bildung

Alle drei Parteien hatten sich im Wahlkampf eine Förderung von Offenen Bildungsmaterialien (OER) auf die Fahnen geschrieben. Diese haben es nun auch in den Koalitionsvertrag geschafft. OER soll gefördert werden, zudem soll eine entsprechende Plattform entstehen.

Alle drei Parteien haben sich im Wahlkampf für eine Förderung von Open Access ausgesprochen, was sich nun im Koalitionsvertrag widerspiegelt: „Die Koalition wird die Open Access Strategie umsetzen und ein Zukunftsprogramm Digitalisierung der Wissenschaft auflegen. Dabei sollen Open-Access-Publikationen, aber auch digitale Lehr- und Lernformate sowie offene Forschungsdaten etwa durch Regelungen in den Hochschulverträgen unterstützt werden.“

Fazit

Die SPD als größte Koalitionspartei hat eine weitgehende Reform oder gar Abschaffung des Verfassungsschutzes, genauso wie die Einführung eines echten Transparenzgesetzes oder die Abschaffung der Funkzellenabfragen verhindert. Dafür konnten die kleineren Koalitionspartner Themen wie die Förderung von Open Source, einen Whistleblowerschutz auf Landesebene, die vollständige Beseitigung der Störerhaftung sowie mehr Mittel für die Datenschutzbeauftragte im Koalitionsvertrag durchsetzen.

Doch auch bei den strittigen Themen und den daraus folgenden Kompromissen ist Berlin im Vergleich zur rot-schwarzen Vorgängerregierung in Sachen Netzpolitik, Grundrechte, Transparenz und Beteiligung ein gutes Stück vorangekommen: Der Berliner Verfassungsschutz wird beschränkt und besser kontrolliert werden und auch bei der Informationsfreiheit kann sich etwas zum Positiven entwickeln. Sollte die angekündigte Berichtspflicht via SMS bei Funkzellenabfragen wirklich umgesetzt werden, hätte sie in Deutschland Leuchtturmcharakter. Auch weitere Maßnahmen aus dem Feld der Grund- und Freiheitsrechte wie die Schaffung eines unabhängigen Polizeibeauftragten, die explizite Nennung einer Einschränkung des Einsatzes von Pfefferspray, der Verzicht auf den Ausbau von Videoüberwachung, die Stärkung des Redaktionsgeheimnisses oder die Ankündigung eines demokratiefördernden Versammlungsrechtes sind positive Signale für den Schutz von Grund- und Freiheitsrechten – nicht nur in der Hauptstadt. Und auch aus netzpolitischer Sicht ist der Koalitionsvertrag der umfangreichste bislang in Deutschland bekannte: So viel Netzpolitik stellte eine Landesregierung noch nie in Aussicht. Genau richtig für das digitale Berlin.

Auf einen Blick

Wir haben aus dem Koalitionsvertrag noch eine kleine Infografik erstellt. Die Bewertungen entsprechen der Einschätzung mehrerer Redakteure:

koalitionsvertrag-berlin-netzpolitik-grundrechte-1200


Unterstütze unsere Recherchen und Berichterstattung für Grundrechte und ein freies Internet durch eine Spende.



from netzpolitik.org http://ift.tt/2g1eXSo