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Vorratsdatenspeicherung: Große Provider speichern erstmal nicht

Kunden von Providern, die trotzdem Vorratsdaten speichern, könnten klagen oder von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen, sagen Juristen. CC0 Oliver Thomas Klein

Nachdem das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen in der letzten Woche den Provider Spacenet von der Speicherungspflicht bei der Vorratsdatenspeicherung befreit hat, zog die Bundesnetzagentur (BNetzA) heute nach und hat die Speicherung für alle Provider auf Eis gelegt. Die Entscheidung der BNetzA wird bei Providern und Verbänden mit Erleichterung aufgenommen. Bürgerrechtsorganisationen sehen in ihr den Anfang vom Ende der Vorratsdatenspeicherung (VDS) und fordern mehr Druck auf Dienstleister und Gesetzgeber.

Der Digitalverband eco hält die Entscheidung für konsequent. Jetzt brauche man „die Grundsatzentscheidung [des Bundesverfassungsgerichts], um die Vorratsdatenspeicherung endgültig zu stoppen.“ Die Unternehmen bräuchten Rechtssicherheit, um nicht erneut ein europarechts- und verfassungswidriges Gesetz umsetzen zu müssen und damit beachtliche Gelder zu verschwenden, sagt Oliver Süme, eco-Vorstand Politik und Recht.

„Nicht erneut verfassungswidriges Gesetz umsetzen müssen“

Auch der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), eine Interessenvereinigung von rund 100 Telekommunikations- und Multimediaunternehmen in Deutschland, begrüßt die Entscheidung der Behörde. Sie stelle die Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer und aller Kundendaten sicher, sagt VATM-Vorstand Jürgen Grützner.

Beim Industrieverband Bitkom hält man die Entscheidung der Bundesnetzagentur für richtig. Es müsse allerdings noch geprüft werden, was sie konkret für die Unternehmen bedeute: „Die Hängepartie rund um die Vorratsdatenspeicherung geht also weiter. Die Unternehmen haben einen hohen Millionenbetrag investiert, die nötigen Organisationseinheiten aufgebaut und Personal abgestellt, um einer Verpflichtung nachzukommen, die nun laut Gericht gegen geltendes Recht verstößt. Dieser Zick-Zack-Kurs muss ein Ende haben“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Alle großen Provider setzen Vorratsdatenspeicherung nicht um

Bei der Deutschen Telekom wird die Vorratsdatenspeicherung nun bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht umgesetzt. Thomas Kremer, Vorstand, Datenschutz, Recht und Compliance der Telekom: „Wir begrüßen die Aussetzung durch die Bundesnetzagentur. Für so einen sensiblen Eingriff in Persönlichkeitsrechte muss Rechtssicherheit gegeben sein.“

Auch die Telefonica Deutschland begrüßt die Entscheidung der BNetzA. Für Unternehmen sei entscheidend, dass es mit Blick auf den Datenschutz einen klaren Rechtsrahmen gebe. Es seien „nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen von vergangener Woche einige Fragen offen geblieben, zumal das Hauptsacheverfahren zu der Fragestellung am Verwaltungsgericht Köln noch läuft und weitere Verfahren am Bundesverfassungsgericht anhängig sind. Zudem ist auch unklar, inwiefern die nationalen Regelungen von dem Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung von Dezember 2016 betroffen sein werden.“ Dies müsse der Gesetzgeber klären. Telefonica Deutschland wird als Reaktion auf die Entscheidung der BNetzA bis zur endgültigen Klärung nicht mit der Vorratsdatenspeicherung beginnen, so die Pressesprecherin Katja Hauß.

Eine überraschende Kehrtwende vollzog Vodafone Deutschland, das noch bis vor Kurzem die VDS umsetzen wollte. Nun werde man doch nicht mit dem Speichern beginnen: „Auf Grund der heutigen Mitteilung der Bundesnetzagentur sieht Vodafone auch im Interesse seiner Kunden von der Speicherung und Beauskunftung von Verkehrsdaten (auf Grund der sogenannten Vorratsdatenspeicherung 2.0) bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren ab“, sagte ein Pressesprecher gegenüber netzpolitik.org.

Auch der Anbieter 1&1 Deutschland kündigte per Twitter an, dass er die Entscheidung der Bundesnetzagentur begrüße und deswegen bis auf Weiteres keine Daten speichern würde.

„Vernichtende Niederlage für Überwachungspolitik der Bundesregierung“

Jan Korte (MdB, Linke) kritisiert, dass die Bundesregierung spätestens nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, die Notbremse hätte ziehen müssen: „Stattdessen wurden die Telekommunikationsanbieter weiter gezwungen teure Technik für die grundrechtswidrige Überwachung unserer Kommunikation anzuschaffen. Es ist daher gut, dass zumindest die Bundesnetzagentur jetzt endlich handelt und die Speicherpflicht der Anbieter bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren aussetzt.“

Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, hält die Aussetzung der Speicherungspflicht für folgerichtig: „Es zeichnet sich eine vernichtende Niederlage für die Überwachungspolitik dieser Bundesregierung ab. Auch wenn das Hauptsacheverfahren noch abzuwarten ist: Hier bahnt sich eine entscheidende Weichenstellung an. Die Belehrung über Rechtsstaatlichkeit durch Gerichte ist trauriger Alltag in Zeiten der Großen Koalition.“

Kunden könnten bei Weiterspeicherung durch Provider Vertrag wechseln

Ulf Buermeyer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), hält die Entscheidung für „ein Signal, dass in der BNetzA erhebliche Verunsicherung herrscht, was die Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung angeht.“ Leider ziehe die Behörde aber nicht die einzige rechtlich vertretbare Konsequenz: „Dass die deutschen Regelungen zur VDS insgesamt europarechtswidrig und daher auf Dauer unanwendbar sind.“ Buermeyer sieht es als problematisch an, wenn Provider die VDS trotzdem umsetzen würden. Solche Provider könnten unter Umständen eine „strafbare Untreue“ begehen, zudem könnten Kunden bei Weiterspeicherung von Sonderkündigungsrechten Gebrauch machen und den Provider wechseln.

Volker Tripp von der Digitalen Gesellschaft freut sich über die Entscheidung der Bundesnetzagentur: „Nach der unanfechtbaren Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen gab es ohnehin keinen Spielraum mehr für eine Fortführung der Speicherpflicht.“ Jetzt seien Bundesregierung und Bundestag in der Pflicht, der grundrechtswidrigen Vorratsdatenspeicherung endgültig den Garaus zu machen und das Gesetz aufzuheben. Die Vorratsdatenspeicherung sei mit der Entscheidung faktisch erledigt.

Klagen gegen Unternehmen, die trotzdem speichern

Patrick Breyer, Mitglied der Piraten und langjähriger Gegner der Vorratsdatenspeicherung, ist der Meinung, dass Unternehmen mit der Entscheidung der BNetzA einstweilen ohne Konsequenzen auf die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung verzichten könnten, auch ohne selbst vor Gericht ziehen zu müssen: „Die Anbieter haben jetzt wirklich keinen Grund mehr, ohne Anlass die Verbindungen und Bewegungen ihrer Kunden aufzuzeichnen. Wir haben noch keinen Überblick darüber, wie die einzelnen Unternehmen reagieren. Jedoch muss jedes Unternehmen, was dennoch umsetzt, mit einer Klage rechnen.“

Elisabeth Gabelmann vom AK Vorratsdatenspeicherung ergänzt: „Wir werden alle Anbieter, die sich stur stellen, veröffentlichen und an den Pranger stellen. Wer die Privatsphäre seiner Kunden verrät, stellt sich auf eine Stufe mit den Überwachungsideologen in der Politik.“

Die politische Auseinandersetzung um die Vorratsdatenspeicherung ist noch lange nicht zu Ende. Für Donnerstag haben Datenschutzaktivisten von Digitalcourage eine Kundgebung vor dem Bundestag angesetzt. Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) plant weitere Aktionen und Klagen.

Weitere Anfragen nach Statements an die rechtspolitischen Sprecher der Union und der SPD im Bundestag, an das Bundesinnenministerium und das Bundesjustizministerium, an weitere Telekommunikationsunternehmen sowie an zivilgesellschaftliche Organisationen sind bislang unbeantwortet geblieben und werden bei Beantwortung nachgereicht.


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